Sonntag, 8. März 2015

Training im Gao Ba gua - einige Gedanken

Im Gegensatz zu vielen Sportarten braucht es mehr Trainingszeit um in einer Kampfkunstdisziplin wirkliche Fortschritte zu erzielen. Nur schon das Beherrschen der Grundlagen, der Basis, erfordert mehrere Jahre regelmässiges Üben. In meinen 36 Jahren Kampfkunsttraining habe ich Vieles gesehen und Eines, das auffällt ist, dass die KK-Training ganz eigenen Gesetzen folgt; denn egal welche Sportart oder Bewegungskunst ich vorher betrieben habe, schon die einfachste Position wie z.B. die Pferdestellung (Ma Bu) bereitet selbst gut Trainierten - ob Yogis oder Pilatstreibende - immense Schwierigkeiten. 
Seit der inflationären Verbreitung von unbewaffneten Kampftechniken in vielen Machwerken aus Hollywood erfreuen sich die KK-Disziplinen einer grossen Bekanntheit und Verbreitung. Nimmt man unser Informationszeitalter dazu mit seinem wichtigsten Exponat, dem Internet, das jeden befähigt in allem ein Experte zu sein, erhalten wir ein sehr verfälschtes Bild dieser z.T. sehr alten Systeme, das selbst Betreibende der einzelnen Disziplinen -meist aus Ignoranz -  aufrechterhalten. Die meisten Trainierenden hören innerhalb weniger Monate oder Jahre auf: zu mühsam ist dieser Weg vor den die Götter viel Schweiss und Durchhaltevermögen gesetzt haben. Oder wenden sich modernenen Methoden zu, wie z.Zt. einem israelischen Derivat, das „Selbstverteidigungsfähigkeiten in kürzester Zeit“ anpreist und dabei mit einem Mix aus ansprechendem Outfit, viel Fitness sowie beeindruckenden schnellen Bewegungen blendet - und dies alles ausgeführt von meist sehr gut trainierten, muskelbepackten jungen Männern. 
Trotzdem bleibt Mensch Mensch und das Erlernen von Bewegung braucht seine Zeit: Es gibt keine Shortcuts…
Der erste Schritt um nicht nach kurzer Zeit frustriert das Handtuch zu werfen ist die Frage nach der eigenen Motivation: was bringt mich dazu ein KK Training aufzunehmen ? Schon diese eigentlich auf den ersten Blick einfache Frage kann einem viel  Zeit und Mühe ersparen, denn je nach  Antwort gibt es Disziplinen, die geeigneter sind und solche, die in eine Sackgasse führen.
Die Hauptgründe um eine KK zu beginnen sind:
  • Sicherheit und Selbstverteidigung
  • Fitness und Gesundheit, Wettkampfgedanke
  • Die meditativen und spirituellen Aspekte
  • Eine innere Berufung („mich hat das immer schon interessiert….“)
Oft handelt es sich um eine Kombination obiger Punkten. Steht einer dieser Gründe im Vordergrund ist die Sache relativ einfach, denn man sucht sich dann ein System, welches diesen Anspruch abdeckt oder es zumindest verspricht.
Hat man „sein System“ identifiziert, dann ist die Regelmässigkeit, das A und O. Gerade klassische Kampfkünste, wie unser Gao Ba gua oder die japanischen Ryu-ha machen es einem nicht unbedingt leicht: Es sind Relikte aus alter Zeit, völlig ohne Ambitionen viele Menschen auf einmal zu trainieren oder dem Lehrer seinen Lebensunterhalt zu ermöglichen.
Gerade das Gao Ba gua nach Hung I Mien ist eines der letzten kompletten chinesischen Kampfkunstsysteme - zumindest innerhalb der Familie der Nei jia quan - und daher eine wahre Kostbarkeit, die nicht einfach in einer der vielen Kampfsportschulen kommerzialisiert werden sollte. Ein komplettes System bedeutet nicht, dass man dadurch unbesiegbar wird oder dass es die beste und einzige Kampfkunst auf diesem Planeten ist, sondern, dass dem Ganzen zum einen eine inherente Logik innewohnt, die sich von der ersten Bewegung der 24er Form bis zur letzten Bewegung der „Auxilary palms“, den Waffentechniken und den meditativen, sowie spirituellen Prinzipien wie ein roter Faden durchzieht. Zum andern besitzt ein komplettes System eine Pädagogik, die sich nach und nach während des Trainings entfaltet und dafür sorgt, dass jede einzelne Bewegung, - vom beginnenden Handflächenschlag in der Pferdenstellung an - aufeinander aufbaut und hilft die kommenden Konzepte zu verstehen und sie ins eigene Üben zu integrieren. Und dies nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch im taktischen, psychologischen und spirituellen Bereich.
Der Schlüssel  zu diesem Verständnis liegt wiederum im konstanten Üben: gerade die chinesischen Systeme sind durch ihre Formenlastigkeit so aufgebaut, dass sie ideal für das Einzeltraining sind. Wieviel Zeit man dafür investieren möchte ist individuell - ob eine Stunde oder einige Minuten; es kann nicht oft genug betont werden, wie wichtig das regelmässige Üben ist. Das wöchentliche Training selbst kann man dabei mit Instrumentalunterricht gleichsetzen: es dient der Korrektur und neuen Inputs. Die eigentliche Arbeit passiert zuhause. Teilnehmende, die „lediglich“ zu den Trainingseinheiten erscheinen, geben entweder von selbst irgendwann auf oder werden gebeten die Gruppe zu verlassen: mit ihrer fehlenden Motivation verschwenden sie nicht nur ihre eigene Zeit, sondern auch die Zeit der ganzen Gruppe und des Lehrers.

Am besten setzt man sich für sein eigenes Training einen fixen Zeitraum, das heisst nach Möglichkeit übt man immer zur selben Tageszeit. Aus dem Mentaltraining weiss man, dass die Verankerung von neuen Gewohnheiten 29 Tage in Anspruch nimmt. Schafft man es 29 Tage am Stück zu üben, wird man feststellen, dass sich eine Routine etabliert hat, die es einem einfacher macht Zeit für Ba gua zu finden. Wie lange sollte man üben ? Diese oben bereits gestellte Frage lässt sich einheitlich nicht beantworten. Jeden Tag eine Stunde zu investieren ist für die meisten Praktizierenden illusionär und kann dafür sorgen, dass man nach wenigen Tagen entnervt aufgibt. Am besten startet man mit zehn Minuten in denen man einerseits die Bewegungen eins bis fünf aus der 24er wiederholt und andererseits (falls Raum vorhanden) den Kreis läuft mit den beiden grundlegenden Wendungen: innen oder aussen. Mit der Zeit steigt auch die Anzahl der Bewegungen, die man kennt und übt - bis dahin allerdings sollte man unabhängig von Tageszeit und Alltagsverpflichtungen natürlich Raum finden fürs eigene Bagua Training.