Lehrer im Westen - Lehrer im Osten
Wenn heute der Begriff "Lehrer" oder
"Lehrperson" in den Medien auftaucht, dann handelt es sich meistens
um eine Analyse des Status Quo dieses Berufsstandes und weniger um eine
Diskussion zum eigentlichen Rollenbild dieses Berufs.
In Folgendem soll es um Letzteres und zudem Weiteres gehen:
Was unterscheidet den Lehrer, wie wir ihn alle aus eigener
Erfahrung kennen im Westen vom jöstlichen Konzept des "Lehrenden", das
durch Gebiete wie Buddhismus, Yoga oder eben Kampfkunst auch Einzug in
unsere Breiten gehalten hat.
Der Lehrer in den westlichen Industrienationen findet sich vor
allem als Beruf des "Schullehrers"
Oft kolportiert und zum Klischee fast schon degradiert, ist er uns
allen während unserer Schulzeit begegnet: Mit positiven oder leider oft
negativen Erinnerungen behaftet.
Allerdings geht es in diesem Beitrag auch nicht um eine Korrektur
des Schullehrers, sondern um dessen Funktion.
Die primäre Aufgabe des Lehrers ist die Wissensvermittlung.
Auf höhrerer Schulbildung, d.h. ab der Gymnasialzeit sollte die
Lehrperson das kritische und selbständige Denken der Lernenden im Fokus haben.
Dies bedeutet gleichzeitig auch eine notwendige Konfrontation: Nur dadurch kann
der Schüler lernen eine eigene Meinung zu entwickeln und diese auch angemessen
vertreten zu können. Dieses Konzept geht auf das Zeitalter der Aufklärung im
18. Jahrhundert zurück in welcher sich die Kulturschaffenden Europas von
der Vormundschaft der Kirche philosophisch zu emanzipieren suchten, indem sie
die "ratio", die Vernunft als Mass aller Dinge postulierten und so
den Glauben in eine Nische zu drängen suchten.
"Cogito ergo sum" verkündete der berühmteste aller
Aufklärer René Descartes: "Ich denke, also bin ich" - Rationale
Auseinandersetzung mit mir und der Welt um uns. Eine Bewegungen, die wie keine
andere dem Weltverständnis des Westens ihren Stempel aufgedrückt hat - und das
bis heute.
Zurück zum Verständnis vom Lehrer im Westen: Nebst
Wissensvermittler regt er im besten Fall den kritischen Diskurs an um
seine Schülerinnen und Schüler zur geistigen Mündigkeit zu verhelfen.
"Guru" (Indien / Tibet), "Sifu" (China),
"Sensei" (Japan) sind die heute noch gebräuchlichen Anreden für
"Lehrer" im Osten.
Schaut man sich die Bedeutung der verschiedenen Begriffe näher an,
wird klar, dass die Rolle des Lehrers in östlichen traditionellen Disziplinen
über die Wissensvermittlung hinausgeht. Der Term "Guru" hat seinen
Ursprung in den alten vedischen Texten, findet sich aber nicht nur in Indien,
sondern auch in weiten Teilen Südostasiens. Ein "Guru" ist mehr als
ein Wissensvermittler; wenn er einen Schüler annimmt, dann übernimmt er
gleichwohl die Verantwortung für den Adepten.
Er fungiert dabei als eine Art Vater/Mutter oder intimer Berater
für den Geist und die spirituelle Entwicklung des Schülers.
"Sifu" ist ein chinesischer Begriff, der am besten mit
"väterlicher Lehrer" übersetzt wird. Ein weiterer gebräuchlicher Term
in chinesischen Disziplinen ist "Laoshi" oder "alte Person mit
Kunstfertigkeit" (old person of skill).
"Sensei", die gebräuchlichste Anrede für Lehrpersonen in
jedem Feld in Japan bedeutet wörtlich übersetzt "Eine Person, die vorher
geboren wurde".
Anmerkung: Es ist heute in der Kampfkunstszene keine Seltenheit,
dass sich Lehrende selbst als "Sensei" bezeichnen. In Japan würde
dies Befremdung, im besten Fall kopfschüttelndes Schmunzeln auslösen, da Sensei
ein Ruftitel ist. Wenn sich Karatelehrer Karl Schwarzfaust als "Sensei
Schwarzfaust" vorstellt, dann formuliert er durchaus ein philosophisches
Problem, denn er bezeichnet sich als jemand, der vor sich selbst geboren
wurde...
Im Begriff "Tradition", der heute von
Körper-Geist-Systemen schon fast inflationär und meist zu Marketingzwecken
gebraucht wird, steckt das Lateinische "tradere", welches wörtlich
übersetzt "herüber-geben" bedeutet. Wissen wird über Jahre,
Jahrzehnte und oft auch Jahrhunderte "herüber-gegeben", von einer
Generation zur nächsten. Vor einigen Wochen bin ich aus Indien zurückgekommen,
wo ich der 800 Jahr- Feier einer Richtung des tibetischen Buddhismus beiwohnen
durfte, deren Mitglied ich bin: Von Generation zu Generation wurden die Lehren
dieser Schule weitergegeben.
In Japan studierte ich in den 90er Jahren eine synkretische
Form des "Ko-Budo": Neun moderne und alte Schulen zusammengefasst in
einem System. Ein Teil dieses Systems bestand aus der "Kukishinden Ryu
Happo Hikenjutsu" (frei mit "Die Schule der neun Dämonen-Götter"
übersetzt), einer Samuraischule, die sich bis zum Jahre 1318 zurückverfolgen
lässt. Dabei ist der Begriff "Ryu" (jap. für Schule) interessant: Das
Schriftzeichen für Ryu -流 beinhaltet die
Assoziation zu Wasser - (Ryu-to z.B. ist das japanische Ritual bei welchem
Laternen in Flüsse gesetzt werden um während der Sommerfestivalzeit die Toten
zu ehren) Wissen, dass aus der Vergangenheit in die Gegenwart und dann in die
Zukunft fliesst.
Meine heutige Hauptdisziplin das Gao Ba gua besitzt ebenfalls eine
solche ungebrochene Zeitlinie und steht heute in der achten Generation.
Vom Blickwinkel der Tradition aus gesehen ist der Lehrer das
Gefäss, durch welches das Wissen aus der Vergangenheit in der Gegenwart für die
Zukunft weitergereicht wird. Dieser Umstand macht auch den grössten Unterschied
zwischen der Lehrerrolle im Westen und die in den traditionellen Künsten im
Osten aus: Der Guru/Sifu/Sensei ist alles. Ohne ihn gibt es kein Wissen, keine
Tradition. Er ist nicht nur Vermittler, sondern auch Bewahrer und vor allem
verantwortlich dafür, dass die Schule weiterlebt: Dies ist die Aufgabe und
manchmal auch Bürde, die er auf sich genommen hat, als er in die Schule
initiert wurde, als ihm die innersten Techniken und Prinzipien gelehrt wurden,
als er die volle Lehrbefugnis erhielt.
Ich habe immer wieder von meinen Lehrern gehört, dass es reichen
würde, wenn nur jemand, eine einzige Person, die Essenz der Schule be-greifen
würde. In der japanischen Ryu-Tradition wird die gesamte Schule fast immer an
nur eine Person weitervererbt, während in den chinesischen Systemen meist
mehrere Schüler die gesamte Überlieferung erhalten können.
Im tibetischen Buddhismus, dem Vajrayana ist Guru-Yoga, die
Meditation auf den Lehrer und den Stammbaum eine der Nöngdro, eine der
grundlegenden Übungen. Da der Guru oder tib. Lama nicht nur die Lehren der
Schule, sondern auch die Buddhanatur verkörpert, wird ihm besondere Verehrung
entgegengebracht; bis in die 50er Jahre wurde der tibetische Buddhismus deshalb
im Westen auch als "Lamaismus" bezeichnet.
In Japan ist das Wort des Sensei im Dojo absolutes Gesetz.
Kritische Fragen oder gar Klagen ("wie kann ich mir das merken, es ist so
schwer", "geht das nicht einfacher?") verstossen gegen jegliche
Dojoetikette.
Mein chinesischer Lehrer pflegte auf mein gelegentliches Jammern
bei schweren Bewegungen lediglich mit einem "That`s your problem" zu
antworten.
Darin unterscheidet sich die Rolle des Sensei/Sifu auch von dem
eines Kampfsport-/Fitness- oder gar Persontrainers, der an hohen Schülerzahlen
interessiert ist und daher - meist um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten -
auch sogenannt "kundenorientiert" agiert.
Traditionelle Systeme basieren in ihrem Lehrer-Schüler Verhältnis
vor allem auf Vertrauen, da sie eine grosse Portion Gehorsam vom Schüler
verlangen. Einerseits kann nur dann das Wissen entsprechend tradiert, also
"herüber gegeben" werden, andererseits öffnet sich hier aber auch
eine immense Lücke für Missbrauch seitens des Lehrers.
"With great power comes great responsibility" ( Uncle Ben in "Spider Man")
Leider finden sich immer wieder Fälle von Vertrauens- und damit
auch Machtmissbrauch in traditionellen Systemen:
So erhärteten sich dieses Jahr schwere Vorwürfe punkto
Verschwendungssucht, körperliche Gewalttaten und sexuellen Missbrauchs
gegenüber Sogyal Lakar, einem der populärsten Lehrer des tibetischen
Buddhismus, sodass der Dalai Lama verlauten liess, dass Sogyal den Buddhismus
beschmutzt und Sogyals Taten öffentlich gemacht werden sollen.
Auch in der Kampfkunst finden sich immer wieder Fälle von
physischem und psychischem Missbrauch. Wer sich für dieses Thema näher
interessiert, dem sei Ellis Amdurs brilliantes Buch "Dueling with O Sensei -
Grappling with the Myth of the Warrior Sage" als Lektüre
empfohlen.
Auch wenn die traditionelle Lehrer - Schüler Beziehung in
östlichen Traditionen beidseitige Hingabe erfordern, bedeutet es vor allem für
westliche Schüler nicht, dass sie ihre Denkfähigkeit deshalb aufgeben sollten.
Ich habe zu oft - und leider immer noch - im Umgang mit
asiatischen Lehrern eine Unterwürfigkeit erlebt, dich mich immer wieder
sprachlos macht: Da verwandeln sich anscheinend intelligente und selbstbewusste
Personen in sabbernde Cretins und hoffen wahrscheinlich insgeheim dadurch, dass
die Fähigkeiten des betreffenden Lehrers wie von Zauberhand auf sie übergehen
werden.
Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich mich aus Respekt vor
der Tradition und der Rolle des Lehrers darin mit Würde verbeuge oder ob
ich mich UNTERwerfe und damit jegliche Power meinem Gegenüber übergebe.
An dieser Stelle eine Warnung an alle diejenigen, welche an
traditionellen asiatischen System jeglicher Art interessiert sind:
Blossstellungen, physischer oder psychischer Machtmissbrauch und sexuelle
Ausbeutung dürfen NIE auch nur ansatzweise toleriert werden, sondern sollten
oder müssen gar publik gemacht werden (was heute durch die Social Media ja
einfach ist...)
Wie sieht es nun mit westlichen Lehrern aus, die eine asiatische
Tradition lehren und sie auch dadurch verkörpern ? Was darf man von ihnen
und was können sie von ihren Schülern erwarten ?
Asiatische Körper-Geist-Disziplinen boomen heute mehr denn je:
Kaum ein Actionfilm in dem der Held oder die Antagonisten nicht mit
Karatetritten aufeinander losgehen, Wohnungen, Balkone und Gärten sind voll von
Buddhafiguren und Yogaschulen schiessen immer noch wie Pilze aus dem Boden...
Das Internet trägt seinen Teil zur Popularität bei und schon haben
wir Viele, die Experten in Allem und gar nichts sind, ausser, dass sie
Klischees weitertragen und verbreiten helfen.
Dies macht es für uns westliche Lehrer von östlichen Traditionen
sehr schwierig Interessierten den Unterschied zwischen einer authentischen
Kampfkunsttradition und z.B einem Sport wie zB Kickboxen oder MMA (Mixed
Martial Arts) zu erklären. In einer pluarlistischen Gesellschaft in einer
globalisierten Lebenswelt, in der Demokratie, Gleichstellung und
Gleichberechtigung feste Bestandteile des Wertesystems sind, stellen die
Ansprüche traditioneller Kampfkünste für viele Westler eine nicht überwindbare
Hürde dar.
Zu gross ist die Vereinsmentalität, das Miteinander, das
Gym-Feeling, welches den Interessierten oder gar schon Trainierenden geprägt
hat, sodass grundlegende Verhaltensregeln, die in den alten Traditionen
herrschen einfach nicht wahrgenommen werden.
Einige Schulen versuchen dies mit einer übertriebenen Form der
Hierarchie und Disziplin auszugleichen – ein in meinen Augen fragwürdiges
Unterfangen, da dadurch automatisch auch der zuvor angesprochene Machtmissbrauch
wieder ins Bild rückt.
Verhaltensregeln, also sogenannte „Do`s and Don`t“ sollen in einem
nächsten Artikel thematisiert werden.
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